Kurzbiografie von Jakob
Fischer-Rhein - von Hellmut Lang
Selbstportrait, 1918
Jakob Fischer-Rhein wurde
1888 in Düsseldorf als Sohn einer Bauerntochter vom
Niederrhein und eines Stellmachers aus Ostpreußen geboren.
Schon früh galt sein ganzes Interesse der Kunst und der
Wunsch, Maler zu werden ließ ihn nicht mehr los. Doch der
Vater, ein tüchtiger und erfolgreicher Handwerker, der sich
zum Konstrukteur von Eisenbahnwaggons hinaufgearbeitet hatte,
wollte davon nichts wissen. Heimlich schickte Jakob einige
Arbeitsproben an die Akademie seiner Heimatstadt.
Prof.
Janssen erkannte sein großes Zeichentalent und vermochte den
Vater umzustimmen. Der war nun bereit, dem Wunsch seines
Sohnes nachzugeben, jedoch unter der Bedingung, daß er zuvor
einen "ordentlichen" Beruf erlerne. So wurde Jakob technischer
Zeichner, wahrscheinlich weil diese Tätigkeit noch am meisten
seinen Vorstellungen entgegenkam.
1905 war es dann endlich
so weit, daß er in die erste Klasse der Akademie, die
sogenannte "Gipsklasse" aufgenommen wurde. Dort zeichneten die
Kunsteleven nach Gipsabformungen griechische Statuen.
Im 2. Semester folgten
Tierstudien. Im Keller war ein Raum zum Sezieren von
Tierkörpern eingerichtet, um die Muskulatur zu studieren. So
arbeitete sich Fischer durch die verschiedenen Abteilungen der
Akademie. Seine Fortschritte waren so frappierend, daß ihm
1908 ein Stipendium für London zuerkannt wurde. In der South
Kensington School wurde vor allem die Kunst der
Aquarellmalerei gelehrt, der in England schon immer große
Bedeutung zugemessen wurde, und aus dieser Zeit stammt auch
Fischers zeitlebens große Zuneigung zu dieser Kunstart. An
vielen Abenden trat er in Varietés als Schnellzeichner auf.
Als solcher macht er 1910 eine kurze Tournee nach Amerika mit,
um anschließend wieder von 1911-12 in Düsseldorf sein Studium
fortzusetzen. Eduard von Gebhardt, Willy Spatz und Paul
Junghans waren seine Professoren.
Nach der Ableistung eines
einjährigen Militärdienstes unter Oberst Ludendorff im
Niederrheinischen Füsilierregiment und zwei weiteren
Studienjahren, geht er für ein halbes Jahr mit einem weiteren
Stipendium an die Akademie in München zu Gabriel von Max,
einem damals hochberühmten Mann. Nebenbei übernahm er die
Vertretung der renommierten Künstlerfarben-Firma Schmincke,
besuchte die meisten der bekannten Münchner Maler in ihren
Ateliers, wo er sich sehr genau umsah und auf diese Art nach
seinen eigenen Worten mehr lernte, als in der Akademie.
Kurz vor Ausbruch des 1.
Weltkriegs verheiratete er sich mit Johanna Burchartz aus
Düsseldorf. In den ersten Kriegstagen wird er verwundet, kehrt
nach einem Offizierslehrgang an die Front zurück und gerät im
Herbst 1915 in französische Kriegsgefangenschaft.
Madrague, 1916
Für einige Zeit wurden
die Gefangenen in dem auf einer Felseninsel gelegenen Chateau
d'If in den unheimlichen, nassen
Kasematten untergebracht, in denen schon 1774 Mirabeau und in
dem Roman von Alexandre Dumas, der Graf von Monte Christo
eingekerkert waren. Jakob Fischer konnte sich nur dadurch vor
dem seelischen Zusammenbruch retten, daß er sein eisernes
Bettgestell hochkant an die Gefängnismauer lehnte und durch
die Fensterluke stundenlang das Meer betrachtete. Sein
nächster Aufenthalt war ein Gefängnisschiff, das in der Bucht
von Marseille verankert war. Es war ein besonderer Glücksfall,
daß der französische Kommandant Kunstfreund war und ihm zu
malen gestattete, ja ihm sogar das nötige Material beschaffte.
Die Deutschen teilten die Gefangenschaft mit Bulgaren,
Rumänen, Marokkanern und Türken. Einige der damals
entstandenen Porträts exotischer Köpfe behielt Fischer bis zu
seinem Tod. Auf manchen waren noch die Spuren der Ratten, die
das Leben der Gefangenen zur Qual machten, zu sehen. Nach 11/2
Jahren verlegte man sie auf die
Île de Ré,
einer der Atlantikküste vorgelagerte Insel bei La Rochelle.
Und wieder besorgte ein kunstsinniger Kommandant alles zum
Malen Nötige und ließ ihm auf der Insel völlige Freiheit.
Unter den Gefangenen gab es Schauspieler, Sänger, Musiker.
Theater- und Opernaufführungen wurden einstudiert. Jakob
Fischer malte Kulissen und führte Regie.
Die künstlerische
Ausbeute dieser Jahre war außerordentlich. Bei seiner
Entlassung im Jahre 1920 hatte er rund 200 Arbeiten im Gepäck.
Nach Düsseldorf zurückgekehrt, sah er seinen inzwischen 5
Jahre alten Sohn zum ersten Mal. Die Arbeiten seiner
Gefangenenzeit fanden große Beachtung.
Duisburg, 1930
Sein wachsendes Ansehen
als Landschafts- und vor allem Porträtmaler ermöglichten es
ihm, ein großes Atelier zu beziehen, in dem er seine Bilder
wirkungsvoll ausstellen konnte. Studienreisen nach Holland,
Belgien, Frankreich und Amerika, wo er 1923/24 ein dreiviertel
Jahr blieb, fallen in diese Zeit. Amerika faszinierte ihn so
sehr, daß es ihn 1928 wieder hinzog, diesmal für fast 6 Jahre.
Er hatte gleich am Anfang das Glück, einen Wettbewerb der
Stadt New York, bei dem eine Plakette zur Erinnerung an den
ersten Transozeanflug von Hünefeld, Fitzmaurice und Köhl zu
gestalten war, zu gewinnen.
Im Hafen von New York, 1932
Besondere Beachtung fand
seine Arbeit durch Mrs. Schiff, der Witwe des Gründers einer
bedeutenden Wallstreet-Bank. Sie organisierte Ausstellungen,
in denen seine Bilder vor allem von ihrem Freundeskreis
erworben wurden. Das Ehepaar Fischer mietete ein elegantes
Appartment mit Blick über den Hudson-River, denn endlich
schien ein gewisser Wohlstand gesichert. Doch die sorglose
Zeit währte nicht lange. Der Börsenkrach in der Wallstreet,
der schwarze Freitag im Oktober 1929 beendete alle Träume.
Der Maler kommt in
finanzielle Not, kann die teure Wohnung nicht mehr halten und
zieht in ein armseliges, städtisches Quartier im Stadtteil
Bronx. Die Miete muß er durch Zeichenunterricht in einer
Mädchenschule ableisten. Seine Frau kommt als Kindermädchen
mit Kost und Logis unter .
Trotz dieser Widrigkeiten
zählen die Zeichnungen der folgenden Jahre zu seinen besten
Arbeiten. Nicht nur die aufregende Skyline Manhattans oder
Prunkbauten der Banken und Konzerne waren die Motive seiner
kraftvollen Kohlezeichnungen, auch der Hafen, die
Stahlskelette halbfertiger Hochhäuser, der alte
Holländerfriedhof, das südländische Treiben im
Italienerviertel, die inmitten gigantischer Wolkenkratzer wie
in einem tiefen Schacht liegende St. Patricks Cathedral fanden
sein Interesse. Eine umfangreiche Mappe New Yorker Motive
entstand. Doch seine wirtschaftliche Lage wurde immer
hoffnungsloser.
In dieser Situation
erreichte ihn ein Brief Werner Peiners, eines Düsseldorfer
Studienkollegen, der im dritten Reich mit Staatsaufträgen
überhäuft, Fischer als Assistenten gewinnen wollte. In seiner
Not sagte dieser zu. Da ihm das Geld für die Überfahrt fehlte,
heuerte er auf einem Passagierdampfer als Hilfsmatrose an.
Seine Frau machte die Fahrt in die ungewisse Zukunft nicht mit
und blieb mit dem Sohn in New York zurück. Als freier
Mitarbeiter Werner Peiners malte er in Berlin vorwiegend nach
dessen Vorlagen Säle mit zeittypischen Werken aus.
Sein Einkommen war zwar
gesichert, so daß seine Frau nachkommen konnte, aber
künstlerisch ließ ihn diese Art von Malerei völlig
unbefriedigt. Die "französische" Leichtigkeit seiner Aquarelle
und Zeichnungen war nicht gern gesehen. Man bedeutete ihm,
seinen Stil zu ändern. Auch mußte er, um als Vollarier
anerkannt zu werden, einen Schädeltest über sich ergehen
lassen, da von einem Großvater die Geburtsurkunde fehlte.
Was ihm gefiel, war das
Großstadtleben. Eine Anstellung als Pressezeichner für eine
große Tageszeitung, die damit verbundenen abendlichen Besuche
von Theatern und Konzerten, um Berühmtheiten der damaligen
Kulturszene wie Heinrich George, Werner Krauss, Käthe Dorsch,
Wilhelm Furtwängler zu skizzieren, gab ihm dann doch die
Befriedigung, die er bei seiner Tagesarbeit nicht fand.
Frankfurt 1954
Der Krieg brach aus, bald
wurde Berlin bombardiert. Fischer war vom Kriegsdienst
befreit, da die Arbeit Peiners und seiner Assistenten für
wichtig erachtet wurde. So oft er konnte, reiste er jedoch in
die Alpen. Er, der sich bisher fast ausschließlich für
Großstadtmotive interessiert hatte, entdeckte die Natur. Vor
allem im Ötztal ist er überwältigt von der dramatischen Welt
des Hochgebirges: Berge, Wasserfälle, das bäuerliche Leben im
Rhythmus des Jahresablaufs, inspirieren ihn zu vielen
Gemälden.
Nach Berlin
zurückgekehrt, fand er im Spätjahr 1943 Wohnung und Atelier
zerbombt vor. In einem Kulturfilm über Franken hatten ihn
Bilder von Miltenberg bezaubert. Dazu kam, daß eines seiner
liebsten Bilder in der Nationalgalerie, ein Selbstporträt mit
Strohhut, von Philipp Wirth aus Miltenberg gemalt ist.
Kurzentschlossen packte das Ehepaar Fischer seine wenigen
Habseligkeiten und fuhr dorthin, um diesen anscheinend
reizvollen Ort kennenzulernen.
Wieder begann eine
schwere Zeit, denn das Interesse an der Malerei war in den
Kriegsjahren denkbar gering. Aber es gab doch einige, die sich
für seine Kunst interessierten und sich ihm und seiner Gattin
freundschaftlich zuwandten. In den letzten Kriegsmonaten mußte
er noch beim Volkssturm zusammen mit anderen Miltenberger
Schützengräben ausheben. Selbstverständlich war sein
Zeichenblock mit dabei. Die karikaturenhaften Porträts seiner
Kameraden zeigen, daß er auch auf diesem Gebiet nicht unbegabt
war.
Die Romantik der
winkligen, von Kriegszerstörungen weitgehend verschonten
Fachwerkstadt, eingebettet in damals noch völlig intakter
Landschaft, bot eine Fülle reizvoller Motive. Jakob
Fischer-Rhein, der Hektik seines bisherigen Lebens müde,
beschloß zu bleiben.
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Miltenberg, um 1940 |
Miltenberg, 1961 |
In den Jahren 1946-50
lernte er auf ausgedehnten Fahrten seine Wahlheimat gründlich
kennen. Da Leinwand und Farben in den Nachkriegsjahren kaum zu
beschaffen waren, hielt er die Schönheit Frankens in
Zeichnungen fest. Besonders bemerkenswert sind die in Bamberg
entstandenen, bei denen es ihm gelang, an sein hohes New
Yorker Niveau anzuknüpfen, so verschieden die Motive auch sein
mochten.
Die nächsten 20 Jahre
waren für ihn die Zeit der großen Reisen. Obwohl ihm das Leben
in der idyllischen Kleinstadt behagte und Miltenberg ein
Fixpunkt war, zu dem er immer wieder gerne zurückkehrte, war
sein Leben ohne Reisen, ohne die erregenden Blicke auf Häfen
und Meere, Städte und Berge undenkbar. Neue Erlebnisse, neue
Ausblicke waren der Motor seiner künstlerischen Existenz. So
finden wir neben seinen vielen Miltenberger Motiven und
Ansichten etwa von Bamberg, Rothenburg, Dinkelsbühl,
Nördlingen, Regensburg, Köln, Bremen, auch Städte wie Paris,
Rouen, Marseille, Rom, Venedig, Mailand, Barcelona, Burgos,
Gibraltar, Dubrovnik und Zagreb. Noch mit 73 Jahren lernte er
die griechischen Inseln und die Küste Kleinasiens kennen.
Place de la Concorde, Paris, 1952
Jakob Fischer-Rhein war
kein kritischer, reflektierender Geist. Für ihn blieben die
Professoren der Düsseldorfer Akademie stets Vorbild und voller
Stolz nannte er sich zeitlebens akademischer Maler. Modernen
Strömungen hat er sich verweigert; doch haben der ästhetische
Kubismus Lyonel Feiningers und die Städtebilder Alben Marquets,
zwei Künstler die er über alles schätzte, in manchen seiner
Arbeiten Spuren hinterlassen.
Obwohl in seinen Werken
die gründliche akademische Ausbildung, wenn auch
impressionistisch aufgelockert, offenkundig ist, fand er doch
zu einem sehr persönlichen, unverwechselbaren Stil.
Der 1. und 2. Weltkrieg
sind an seinem Werk, nicht an ihm persönlich, spurlos
vorbeigegangen. Nie kam ihm auch nur der Gedanke, diese
grausamen Verirrungen der Menschheit in Bildern festzuhalten.
Als Europas Städte in Schutt und Asche sanken, malte er mit
einer Inbrunst wie nie zuvor oder danach die Welt, wo sie noch
unversehrt war: in den Alpen.
Aus seinem Miltenberger
Atelierfenster hatte der Künstler einen herrlichen Blick über
den Marktplatz. Dafür nahm er gerne in Kauf, daß die Wohnung
winkelig und ohne jeden Komfort war. Im hohen Alter, als er
das Haus nicht mehr verlassen konnte, malte er sehr oft diesen
Blick aus dem Fenster. Doch die Arbeiten seiner letzten, durch
Krankheit gezeichneten Jahre, lassen kaum noch erkennen, welch
feiner Künstler er einmal war. Es liegt eine gewisse Tragik
darin, daß, als in den sechziger und siebziger Jahren mit dem
steigenden Wohlstand eine größere Nachfrage nach seinen
Bildern einsetzte, seine Schaffenskraft durch Alter und
Krankheit stark gemindert war. Doch wenn ihn eine Person oder
ein Motiv besonders reizte, konnte er immer noch Erstaunliches
leisten. Fast unbeachtet starb Jakob Fischer-Rhein im Oktober
1976.
Stilleben, 1970
1983 fand im Alten
Rathaus zu Miltenberg eine vielbeachtete Gedächtnisausstellung
statt. Da der Maler auch ein guter Photograph war, 4er die
Angewohnheit hatte, jedes Bild, das ihm besonders gelungen
schien, abzulichten und in ein Album einzuheften, war es
möglich, sein gesamtes Lebenswerk, teils im Original, teils im
Photo aufzuzeigen.
Mainbrücke, 1951
Es wurde offenkundig, daß
sein Werk Höhen und Tiefen zeigt, wie das eines jeden
Künstlers. Die Bewertung der größten Künstler wird jedoch
stets nach ihren Spitzenwerken vorgenommen. Wenn man dieses
Prinzip auf Jakob Fischer-Rhein anwendet, kann man sagen, daß
er weit über den Durchschnitt seiner Zeit zu stehen kommt und
neben Philipp Wirth und Adolph Ernst von Zschock ein weiterer
bedeutender Maler ist, den Miltenberg aufzuweisen hat.
Portrait einer Schönen
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